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Motorrad-Magie·4.5.2022

Terrot von 1925

Erfolgreiche Spurensuche in Frankreich

Alte Motorräder haben fast immer eine bewegte Geschichte. Sie aufzuspüren ist für Oldtimer-Liebhaber mitunter so reizvoll wie die Restaurierung ihres alten Schätzchens selbst. Viele begeben sich auf Spurensuche, ja, müssen es oft auch, um ihr Motorrad wieder in den ursprünglichen Zustand versetzen zu können. Klaus Hassels aus Greven im Münsterland begab sich sogar bis nach Frankreich – in der Hoffnung, etwas über die Vorbesitzer seiner Terrot HT, Baujahr 1925, zu erfahren. Mit Erfolg übrigens.

Doch von Anfang an: Seit vielen Jahren ist Klaus Hassels begeisterter Motorrad- und Oldtimerfahrer. Da lag es nahe, sich irgendwann auch mal in die Vorkriegs-Liga vorzuwagen. Er konnte einen Oldtimerstammtisch-Kollegen überreden, ihm seine seit Jahren im Stall gelagerten Terrot-Fragmente zu verkaufen. Als Frankreich-Liebhaber war für ihn ein französisches Motorrad die erste Wahl.

Der erste Eindruck war, dass die Maschine komplett war. Einige Teile hatten die Vorgänger schon teilrestauriert. Doch es stellte sich leider schon bei den ersten Recherchen heraus, dass die Arbeiten nicht authentisch durchgeführt worden waren. Entsprechend galt es, zunächst möglichst viele Informationen über die Terrot zu sammeln. Die fand der Grevener unter anderem im Internet und durch den Kontakt zu vielen netten Oldtimerfahrern. „Bei der eigentlichen Restauration war ich – obwohl ich seit über 30 Jahren an Mopeds schraube – auf die Hilfe meiner Stammtischkollegen angewiesen, da ich mich bisher mit Vorkriegstechnik noch nicht auseinandergesetzt hatte“, erinnert sich der Münsterländer. „Mein Freund Thomas bot an, den Motor und das Getriebe zu überholen. Den Zünder und die Kurbelwelle gab ich an Spezialisten weiter. Ebenso den Großteil der Lackierung.“

Immer wieder gab es während der Restaurierung neue Entdeckungen, was das Ganze sehr spannend machte. Eine dieser Entdeckungen war ein kleines Messingschild mit dieser Aufschrift: Kuhn Nicola Wiesviller Moselle. „Wie ich herausfand, war es in der Vorkriegszeit in Frankreich Vorschrift, sein Fahrzeug mit eigenem Namen und Wohnort an deutlich sichtbarer Stelle zu kennzeichnen“, erläutert Hassels. „Da dieses Schild passende Bohrungen zum Deckel des kleinen Werkzeugkastens oberhalb des Stecktanks hatte, war mir schnell klar, wo es hingehörte und auch selbstverständlich wieder montiert wurde.“ Wer war dieser Nicola Kuhn? Der Versuch, über das Internet etwas herauszufinden, lief ins Leere.

Lediglich Wiesviller kannte das World Wide Web: Ein kleiner Ort mit gerade mal 1000 Einwohnern, direkt an der Grenze zum Saarland. Auf kaum einer Frankreichkarte verzeichnet. Also druckte sich Klaus Hassels eine Wegbeschreibung aus, denn wer hatte um die Jahrtausendwende schon ein Navi. Im Winter 2003/2004 kniete sich der Oldtimerfreund massiv in die Restaurierungsarbeiten, da er im Mai unbedingt bei den ersten großen Motorradtreffen in Frankreich und in Deutschland starten wollte.

Erst Ende April gab es den ersten erfolgreichen Probelauf. Auch die TÜV-Abnahme gelang im ersten Anlauf. Gerade rechtzeitig zum Coupe Moto Légende am Himmelfahrtwochenende auf dem Circuit de Dijon-Prenois. Dieses Wochenende hat ihm trotz der weiten Anreise super gefallen. Der JAP-Motor mit 350 ccm Hubraum lief prima. Wenn auch die 6 bis 7 PS nicht wirklich übertrieben viel Leistung sind, macht die Fahrt auf dem Motorrad doch großen Spaß. „Es ist eine tolle Atmosphäre dort, und ich habe auch viele nette Kontakte geknüpft“, so Hassels. Wegen des langen Rückweges übernachtete er in Metz. Im Hotel besorgte er sich ein Telefonbuch und stellte fest, dass in dem kleinen Ort Wiesviller einige Personen mit dem Namen Kuhn leben.

„Am Montagmorgen machte ich mich direkt auf, um den Ort und eventuelle Spuren zu finden“, schildert Klaus Hassels den Beginn eines Tages, der mit sehr viel Emotionen verbunden sein sollte. „In Wiesviller angekommen, parkte ich meinen Transporter vor dem Rathaus und informierte mich dort über die Person Nicola Kuhn. Die junge Frau im Rathaus konnte mir nur anhand einer Kartei mitteilen, dass hier wirklich jemand mit diesem Namen gelebt hatte – geboren vor 1900 und in den 1970-er Jahren verstorben. Glücklicherweise betrat zufällig ein sehr alter, netter Mann im richtigen Moment den Raum. Er meinte den vermutlichen Sohn zu kennen und erklärte mir den Weg. Als ich das Motorrad auslud, um zu dieser Adresse zu fahren, bot er an, mich zu begleiten.“

Bei der Familie des Sohnes waren das Erstaunen und die Freude über das Wiedersehen mit der Terrot riesengroß. Der Sohn Leon konnte sich noch gut an die Maschine erinnern und musste natürlich sofort auf dem Gefährt fotografiert werden. Die Familie suchte umgehend nach alten Fotos und zeigte ein Bild von Nicola als Soldat im Ersten Weltkrieg sowie ein Foto von der Terrot mit Familie.

Leon berichtete, dass die Terrot ursprünglich eine Rennmaschine war. Mit ihr verunglückte der Erstbesitzer leider tödlich. Sein Vater habe dann das Motorrad gekauft und für die tägliche Fahrt zur Arbeit genutzt. Irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Motorrad dann für 50 Franc verkauft und war seitdem aus ihrem Blickfeld verschwunden – bis zu diesem denkwürdigen Tag.

Text & Bildquelle: Gregor Mausolf